Geisterspiele – und jetzt?
Die Politik hat grünes Licht gegeben und damit stehen uns genau wie vielen anderen Fußballfans in ganz Europa endgültig Geisterspiele bevor. Warum wir Geisterspiele ablehnen und welche Änderungen wir für das kranke System Profifußball fordern, haben wir mit der auch von uns unterstützten Stellungnahme der Fanszenen Deutschlands bereits deutlich gemacht. Darum wollen wir auf diesen Aspekt hier nur kurz zu sprechen kommen und legen stattdessen die Lektüre der zuvor genannten Stellungnahme nahe. Seit Jahren werden im Fußball unter dem Motto „höher, schneller, weiter“ Geldsummen jenseits unserer Vorstellungskraft bewegt. Nach gerade mal zwei Monaten ohne Spielbetrieb stehen jetzt Medienberichten zufolge diverse Vereine bereits vor der Pleite und das gesamte System vor dem finanziellen Kollaps. Daher soll ohne Rücksicht auf Gesundheit der Beteiligten der Spielbetrieb fortgesetzt werden. Der Plan der Taskforce der DFL offenbart dabei die ganze Perversion dieser Machenschaften. Es ist schlichtweg nicht eingeplant, dass Spieler oder Trainer während des laufenden Spielbetriebs positiv auf das Coronavirus getestet werden könnten. Das Beispiel von drei infizierten Spielern des 1. FC Köln zeigt dies sogar noch deutlicher auf: Es wird einfach weiter in Grüppchen trainiert. Dass eine Grüppchenbildung im laufenden Spielbetrieb nicht mehr möglich ist und mindestens zwei komplette Mannschaften inklusive deren Familien unter Quarantäne gestellt werden müssten, scheint dabei als Kollateralschaden hingenommen zu werden – Ein Opfer, das die Beteiligten eben bringen müssten. Darüber hinaus wird die DFL nicht müde zu betonen, dass deutschlandweit ausreichend Testkapazitäten zur Verfügung stehen. Dass aber in gesellschaftlich weit bedeutenderen und zugleich unterbezahlten Bereichen wie Pflege oder Betreuung keine flächendeckenden Tests möglich zu sein scheinen, während ausgerechnet finanziell privilegierte Sportprofis wöchentlich getestet werden sollen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Der allergrößte Teil unserer Gesellschaft handelt verantwortlich und schränkt sich selbst seit mehreren Wochen massiv ein, parallel dazu setzt der Profifußball in Form von DFB und DFL alles daran, den Geldfluss am Laufen zu halten und sich und sein offensichtlich krankes System am Leben zu halten.
Trotz alledem müssen natürlich auch wir uns jetzt damit auseinandersetzen wie wir in den kommenden Wochen und Monaten mit den Geisterspielen umgehen.
Zunächst möchten wir daher an die Vernunft und die soziale Verantwortung aller HSV-Fans appellieren. Bringt euch und eure Mitmenschen nicht in Gefahr, indem ihr die Spiele in größeren Gruppen in den Wohnzimmern unserer Stadt verfolgt oder euch gar rund um das Stadion versammelt. Es ist schlimm genug, dass die DFL die Gesundheit von Spielern, Trainern, Betreuern, Physiotherapeuten und deren Familien gefährdet, damit sie ihrer Profitgier wieder freien Lauf lassen können. Spielt dieses Spiel bitte nicht auch noch mit!
Mit der Entscheidung für Geisterspiele hat sich die DFL und das gesamte System Profifußball endgültig zu dem bekannt, was vielen Fans seit Jahren bewusst ist: Aus den Übertragungsrechten in der ganzen Welt generiertes Geld ist wichtiger als Fans im Stadion. Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass der Reiz und auch der Erfolg des Fußballs nicht nur aus dem Spiel selbst, sondern vor allem auch aus dem sozialen Miteinander rund um die Spiele erwachsen sind. Fußball ohne Fans ist nichts.
Wir können die Geisterspiele nicht verhindern, aber wir werden kein bisschen dazu beitragen, diesen Spielen einen positiven Rahmen zu verleihen. Wenn die Verantwortlichen Geisterspiele wollen, dann sollen sie diese auch in ihrer reinsten Form bekommen. Die Stehplätze in grau statt mit Fahnen in unseren Farben und die Stille so laut, dass es das ganze Spiel verändert. Wer Fans nur vor den Fernsehern in Kauf nimmt, damit der Rubel rollt, der wird mit den Folgen leben müssen. Es ist blanker Hohn, dass die DFL die Vereine ermuntern wollte, das Aufhängen von Bannern im Stadion zu ermöglichen. In Deutschland und auch in unserer Fanszene gibt es eine jahrzehntelange Zaunfahnenkultur. Seit jeher repräsentieren die Zaunfahnen Menschen, die hinter ihrer Fahne auf der Tribüne stehen oder sitzen und ihrem Verein die Daumen drücken und ihn unterstützen. Ein Banner im leeren Stadion ohne die zugehörigen Menschen dahinter verfehlt daher seinen Sinn und ist für uns kein Zeichen einer lebendigen Fankultur.
Ferner begrüßen wir, dass sich unser Verein zur Fankultur bekennt und in verschiedenen Gesprächen zugesichert hat, auf sämtliche Simulation von Fankultur zu verzichten. Das beinhaltet auch mögliche „Geisterchoreografien“ von Marketingagenturen, Pappfiguren, die abwesende Fans symbolisieren sollen und vor allem eine gewisse „Fan-App“, mit der per Knopfdruck vom Sofa „applaudiert“, „gesungen“ und „gejubelt“ werden kann.
Den öffentlich kommunizierten Vorstoß der Mannschaft und des Trainerteams, zugunsten des Vereins und seinen Angestellten auf Teile des Gehalts zu verzichten, begrüßen wir ausdrücklich und wünschen uns, dass diesen Worten bald Taten folgen.
Über all das hinaus behalten wir uns vor, unseren Protest in kreativer Art und Weise weiter nach außen zu tragen. Auch und gerade dann, wenn wir selbst nicht ins Stadion gehen können. Wir sind nur nicht so blöd, dabei unsere und die Gesundheit anderer aufs Spiel zu setzen.
Das System Profifußball gehört weiter in Quarantäne.
Ans Herz legen möchten wir euch allen nochmal die Kampagne „HSVer für Hamburg“. Unterstützt andere HSVer dabei, gut durch die Krise zu kommen.
Zu guter Letzt hoffen natürlich auch wir, dass die Mannschaft die kommenden Spiele auch ohne den vielzitierten „zwölften Mann“ erfolgreich bestreitet. Gebt alles und kämpft für die Raute auf den Trikots, die ihr tragt!
Castaways (Mai 2020)