Dieser Text ist in der zweiten Ausgabe des Bahrenfelder Anzeigers erschienen, dessen Erwerb wir euch wärmstens ans Herz legen. Aufgrund der Relevanz des Themas veröffentlichte zunächst Forza Hamburg den Text. Aus dem aktuell gegebenen Anlass möchten wir euch den Text auch hier zur Verfügung stellen.
Die Person Klaus-Michael Kühne dürfte nahezu allen HSVer*innen ein Begriff sein: Von vielen wurde und wird er als potenzieller Heilsbringer und großzügiger Gönner gefeiert und von einigen wenigen wiederum seit jeher kritisch beäugt, vor allem aufgrund seiner federführenden Rolle bei der Ausgliederung der Profifußballabteilung aus dem HSV e. V. im Jahre 2014. Jüngst sicherte sich der Milliardär erst wieder bis zum 30. Juni 2023 die Namensrechte am Volksparkstadion. Doch auch fernab von der eigenen Haltung zur längst vollzogenen Ausgliederung oder der voranschreitenden Kommerzialisierung des Profifußballs, möchte ich in diesem Text eine andere, viel tiefer greifende Problematik aufgreifen, die sich mir in den letzten Jahren immer wieder aufgedrängt hat, aber im HSV-Kontext leider noch nicht wirklich thematisiert werden konnte. Es geht schlicht und ergreifend darum, woher eigentlich dieses ganze Geld stammt, was Kühne seit nunmehr acht Jahren in den HSV pumpt. Damit möchte ich weniger mit dem moralischen Zeigefinger auf eine Person zeigen, die so unfassbar reich ist, dass sie ganz offenkundig gar nicht weiß wohin mit der ganzen Kohle – abgesehen von der frühen Gewissheit sowohl den Firmensitz von Kühne+Nagel als auch das eigene Milliardenvermögen in der steuerfreundlichen Schweiz zu parken. Nein, es geht um die NS-Vergangenheit eben genau jener Firma, der Klaus-Michael als Firmenerbe und Hauptanteilseigner seinen Reichtum verdankt, wie Kühne damit umgeht und warum es nicht mit den Werten, für die der HSV einsteht, vereinbar ist.
Zuerst einmal: Ja, so ziemlich alle deutschen Firmen, deren Anfänge auf die Zeit vor 1945 zurückgehen, waren zu unterschiedlichen Graden in den Nationalsozialismus verstrickt. Adidas, Daimler, Bayer – die Liste von renommierten Firmen, die in der NS-Zeit nicht bloße Opfer ihrer Umstände waren, sondern fleißig mitwirkten und profitierten, ist lang. In diese Reihe gesellt sich auch Kühne+Nagel als heute drittgrößter Spediteur der Welt, damals als “nationalsozialistischer Musterbetrieb” ausgezeichnet. Der Historiker Frank Bajohr vom Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte in München spricht nicht umsonst von einer “relativen Nähe zum Massenmord.” Entgegen späterer Beteuerungen, es hätte sich um eine einvernehmliche Trennung gehandelt, wurde schon 1933 der jüdische Hauptanteilseigner Adolf Maass entschädigungslos von den Brüdern Werner und Alfred Kühne aus der Firma gedrängt. Wie Ulrike Sparr recherchierte, bezeichnete Maass’ Sohn Gerhard die Kühne-Brüder später konträr zu dem von ihnen bemühten Mitläufer-Image als “einflussreiche Nazis” und während Gerhards Eltern 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1945 in Auschwitz ermordet wurden, lebten die Kühnes in Saus und Braus. Dadurch, dass sie sich und ihre Logistikfirma in den Dienst des NS-Regimes stellten, konnten sie sich Rekordgehälter auszahlen lassen, von denen sie u.a. zahlreiche Immobilien erwarben, wie etwa die “arisierte” Villa Lichtensee in Hoisdorf bei Hamburg. Neben Raubkunsttransporten aus den besetzten Gebieten und sogar Versorgungslieferungen für die Wehrmacht, basierte ihr wirtschaftlicher Erfolg vor allem auf Kühne+Nagels Quasimonopol beim Transport bzw. der “Verwertung” Eigentums jüdischer Deportierter aus den besetzten Gebieten – der sogenannten M-Aktion. So wurden mit tatkräftiger logistischer Unterstützung der Firma von 1941 an über siebzigtausend Wohnungen leergeräumt und die zurückgelassenen Besitztümer in tausenden Zugwaggons und Schiffsladungen nach Deutschland transportiert. Hier wurden diese unter Wert auktioniert oder an Ausgebombte verteilt, um die Kriegsmoral der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Der Journalist Henning Bleyl konnte zudem rekonstruieren, wie die Internationalisierung der Firma und die damit verbundene Infrastruktur, welche das Fundament für den Erfolg der Firma nach 1945 bildete, “in den Fußstapfen der Wehrmacht” erfolgte. Neue Niederlassungen des Spediteurs folgten der Spur des Nationalsozialismus – von Rotterdam bis nach Lissabon, von Genua bis nach Riga. Alfred und Werner Kühne wurden deshalb nach dem 2. Weltkrieg im Prozess der “Entnazifizierung” Westdeutschlands in der zweithöchsten Belastungskategorie als “Aktivist und Nutznießer” geführt, ehe sie auf Initiative der US-Militärregierung als “Mitläufer” entlastet wurden und schon 1948 wieder ihre Firma führen durften – allem Anschein nach, weil die Militärregierung auf deren Logistiknetzwerk angewiesen war. Im Kontrast dazu und der späteren Verleihung des Bundesverdienstkreuz für Klaus-Michaels Vater Alfred stand die Behandlung von Geschäftspartnern der Kühnes im Ausland. So wurde bspw. ihr niederländischer Geschäftspartner Abraham Puls, der ebenso an der M-Aktion beteiligt war, zunächst als Kollaborateur zu Tode verurteilt, ehe dies in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde. Fest steht also: Die Firma Kühne+Nagel hat an der massenhaften Verfolgung, dem Raub und der letztendlichen Ermordung von Juden und Jüdinnen in der NS-Zeit prächtig verdient und war somit Mittäter. Darüber hinaus basiert der Nachkriegserfolg des Spediteurs nicht zuletzt auch maßgeblich auf der eigenen NS-Komplizenschaft und der damit einhergehenden internationalen Expansion. Konsequenzen gab es hingegen für die Zusammenarbeit mit dem NS-Regime bis heute kaum.
Und so kommen wir zum Thema Aufarbeitung im Hause Kühne+Nagel. Die kürzlich verstorbene Holocaustüberlebende und Aktivistin Esther Bejarano predigte jahrzehntelang Schüler*innen in Deutschland: “Ihr seid nicht schuld an dieser schrecklichen Zeit, aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über die Geschichte wissen wollt.” Diese Selbstverständlichkeit scheint aber leider an Klaus-Michael Kühne vorbeigegangen zu sein. Denn die Aufarbeitung der Firmengeschichte Kühne+Nagels gleicht bis zum heutigen Tage, 77 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, einer Farce. Zwar gab es seit 2015 ein prinzipielles Eingeständnis einer Teilschuld, nachdem zuvor verlautet worden war, dieser Zeit mangele es an “Relevanz für die Firmengeschichte”. Nichtsdestotrotz zeichnete sich der Umgang mit diesem Thema bislang noch immer maßgeblich durch Relativierung und Blockierung konsequenter Aufarbeitungsversuche von außen aus. In der Festschrift zum 125-jährigen Bestehens des Unternehmens bekennt sich Kühne+Nagel zu einer gewissen Mittäterschaft, die das Unternehmen bedauere, aber als unvermeidlich für den Fortbestand der Firma beschrieb. Auch Klaus-Michael bekräftigte diese zynische Erzählung vom unvermeidlichen “Zwang des Krieges” später in einem Interview – gegenläufig zu den Darstellungen unabhängiger Historiker*innen, die Kühne+Nagel bescheinigen, sie hätten sich “eifrig in den Dienst der Gestapo gestellt” (Johannes Beermann), um sich die Monopolstellung in den Möbeltransporten aus den besetzten Gebieten zu sichern. Unabhängigen Historiker*innen wird im Gegenteil auch noch die Einsicht in Firmenarchive verweigert, unter Zuhilfenahme der unlängst stark angezweifelten Behauptung, entsprechende Bestände seien 1944 einem Bombenangriff zum Opfer gefallen und sowieso wolle man die Geschehnisse lieber firmenintern aufarbeiten. Ebenso wurden Vorstößen in Bremen, ein Arisierungsmahnmal unweit der Firmenzentrale zu installieren, wieder und wieder Steine in den Weg gelegt und die Mitfinanzierung vom Milliardenkonzern und seinem selbsternannten hanseatischen Chef-Philanthrop versagt. Daraufhin protestierten Aktivist*innen mit einem riesigen “Auf Raub gebaut”-Transparent vor Kühne+Nagels Firmensitz. Bei Kühne selbst stießen dieses Engagement und kritische Pressenachfragen, die dieses Thema immer wieder “hochkochen”, auf Unverständnis. Dies hätte in seiner Wahrnehmung ja in den 1950er- und 1960er-Jahren Sinn ergeben, aber heute käme es für ihn überraschend, dass dies wieder thematisiert werde. Trotz fehlender Aufarbeitung scheint also Klaus-Michael als direkter Nachkomme und Nutznießer der Täter stellvertretend für die Opfer des Nationalsozialismus ihre Verbrechen vergeben und vergessen zu haben. Wie überaus großzügig von ihm.
Was also ergibt sich nun daraus für uns HSVer*innen? Niemand wird so realitätsfern sein, eine Distanzierung oder gar eine komplette Lossagung von Kühne zu erwarten. Aber es ist allerhöchste Zeit den Widerspruch zwischen den vom HSV propagierten Werten und diesem Hintergrund Kühnes zu problematisieren – gerade durch uns Fans. Auch der Umstand, dass in der Fanszene vom ungeliebten SV Werder Bremen dies bereits mit einem Spruchband (“Kühne – Dienstleister des Faschismus”) getan wurde – und das ohne, dass der Verein einen derartig engen Bezug wie der HSV zu Kühne aufweist – sollte noch einmal als dringender Reminder fungieren, sich dieser Aufgabe zu stellen. Denn Kühne ist Anteilseigner und Mäzen unseres HSV und ich persönlich werde mich neben allgemeinen Bedenken der Beständigkeit eines solchen Modells wohl so lange nicht wirklich darüber freuen können, im Volksparkstadion zu spielen, bis diese Sache nicht thematisiert wird. Ich persönlich möchte nicht in einem Volksparkstadion spielen, das auf Gönnerbasis von Geldern eines uneinsichtigen Nazierben finanziert wird. Deshalb muss es darum gehen, den öffentlichen Druck auf Kühne und sein Unternehmen zu erhöhen, die Firmengeschichte im Nationalsozialismus endlich kompromisslos aufzuarbeiten. Denn auch wenn Klaus-Michael selbst damals nicht aktiver Mittäter an diesem massenhaften Mordraub war, so basiert sein Wohlstand und somit auch das Geld, das er in den HSV pumpt, auf diesen Machenschaften und er macht sich mitschuldig, solange er sich weigert seiner Verantwortung nachzukommen. Auch der HSV muss sich die Kritik gefallen lassen, dass er nicht konsequent für die Werte einsteht, die er nach außen trägt. Es ist unser aller Aufgabe dafür Sorge zu tragen, dass die Geschichte sich nicht wiederholt und dass aus ihr gelernt wird. Und wenn sich der sture steuervermeidende Milliardärsopa mit Nazihintergrund weigert diese Aufgabe zu erfüllen, dann müssen wir es eben sein, die darauf hinwirken, dass dieser Teil der Geschichte nicht vergessen, sondern konsequent aufgearbeitet wird.
Love Hamburg, Hate Fascism!