Ein ausverkauftes Haus vor 57.000 Zuschauenden, strahlender Sonnenschein und ein grandios erspielter 3:0-Heimsieg. Noch immer scheint dieses Szenario in weitester Ferne zu liegen.
Doch selbst wenn Fußballfans wie gewohnt in die Stadien zurückkehren können, um ihre Vereine wieder wie früher spielen zu sehen, könnten viele von ihnen keine Eintrittskarte mehr benötigen. Mehrere Vereine in den USA, darunter der Los Angeles Football Club, testen bereits heute Gesichtserkennungstechnologien in Stadien. Die Idee dahinter ist, Fans durch die Authentifizierung ihrer Gesichter Einlass zu gewähren, um den Prozess während der Corona-Pandemie so berührungslos wie möglich zu gestalten (https://www.wsj.com/articles/facial-recognitions-next-big-play-the-sports-stadium-11596290400). Neben einem vermeintlich reibungslosen Ablauf des Einlasses steht beim Einsatz dieser fortschrittlichen Technologie allerdings vor allem eine umfassende Überwachung des Stadionbereichs und damit auch der Stadionbesucherinnen und Stadionbesucher im Mittelpunkt. Es ist also Vorsicht geboten.
Ausgangspunkt einer solchen Art der Überwachung ist dabei die (digitale) Auswertung sog. biometrischer Daten, also von Daten, die unveränderbar mit unserem Aussehen oder auch unserer Gestik zusammenhängen, zum Zwecke der Identifikation von Personen. Klassische biometrische Merkmale sind neben Fingerabdrücken unsere Gesichtsform, aber auch vermeintlich nichtssagende Handlungen wie zum Beispiel unser Gang. Zusammengefasst werden diese Überwachungsmethoden unter dem Stichwort der biometrischen Überwachung.
Dass diese Praxis keinesfalls nur in den Vereinigten Staaten eingesetzt wird, sondern auch in Europa schon längst etabliert ist, zeigt ein Blick nach Ungarn. Wer beispielsweise ein Spiel vom ehemaligen Thomas Doll-Club Ferencvaros sehen möchte, muss zunächst eine Fankarte beantragen. Für diese reicht es aber nicht nur Namen, Adresse und Geburtsdatum anzugeben. Auch Gesichtsfotos und der Venendruck der Handfläche werden hierfür erfasst. Die Handfläche darf dann zudem bei jedem Stadionbesuch erneut brav in den Scanner gehalten werden. Was offiziell Hygiene und Sicherheit dient, wird so zur perfekten Datensammlung (https://tasz.hu/cikkek/szuksegtelenul-es-aranytalanul-korlatoz-a-venaszkenner). Dass der Verein auf diese Weise mehr Daten über die Fans sammelt als jede Versicherung oder gar die Polizei, scheint die Verantwortlichen von nichts abzuhalten. Was erlaubt ist, wird gemacht!
Auch in Großbritannien werden Fans mithilfe von biometrischer Überwachung zunehmend intensiver kontrolliert. Beim südwalisischen Derby zwischen Cardiff und Swansea fuhr die Polizei sogar Transporter auf, an denen die Fans vor den Stadien ihre Gesichter scannen lassen sollten. Die Reaktion war deutlich: Hunderte zogen sich Schals und Masken ins Gesicht, um nicht für immer in den Archiven der Staatsmacht zu landen, bei denen niemand so genau weiß, wofür sie eigentlich verwendet werden. Auch der FC Metz in Frankreich experimentiert zum Ärger seiner Fans mit Gesichtserkennungstechnologien, um unliebsamen Personen den Zugang zum Stadion verweigern zu können (https://www.thestar.com.my/sport/football/2021/02/19/french-watchdog-warns-sports-club-about-unlawful-use-of-facial-recognition-technology).
Bei Brøndby IF in Dänemark lobt man sich dafür, die Technologie von Panasonic zwar einzusetzen, aber nur die Bilder von Menschen zu speichern, die nicht ins Stadion dürfen. Persönlichkeitsrechte scheinen also nur so lange zu gelten, wie es den jeweiligen Vereinsverantwortlichen lieb ist (https://business.panasonic.co.uk/security-solutions/panasonic-facial-recognition-improves-fan-safety-at-danish-football-stadium). Einer willkürlichen Vorgehensweise gegenüber Fußballfans ist – mal wieder – Tür und Tor geöffnet.
Doch es geht noch eine Nummer krasser. In Amsterdam wurde im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft ein Kooperationsprojekt mit dem Titel „Digitale Perimeter“ unterzeichnet. Hierbei wird ein sogenannter „digitaler Sicherheitsring“ erschaffen, der einmal um die ganze Johan Cruijff Arena reicht. Mit Kameras und Sensoren können dann Gesichter abgeglichen, Menschen gezielt lokalisiert und per Bodyscan auf (verbotene) Gegenstände gecheckt werden. Damit wird aus dem virtuellen plötzlich ein reeller Zaun, in dessen Grenzen Menschen wie Glas durchleuchtet werden können (https://www.amsterdam.nl/innovatie/digitalisering-technologie/digitale-perimeter/). Ein Stadionerlebnis nach unseren Vorstellungen, das Fans Räume zum Ausleben ihrer Kultur lässt und sie nicht unter Generalverdacht stellt, wird so unmöglich.
Der Wahnsinn ist dann aber tatsächlich, dass die eingesetzten Techniken nicht einmal ansatzweise ausgereift sind. Als wäre es nicht bereits schlimm genug, wahllos Gesichter unschuldiger Bürgerinnen und Bürger zu sammeln, kommt eine Studie der Universität Essex zu dem Ergebnis, dass die eingesetzte Kameratechnik bei sechs Versuchen gerade einmal in 19 % der Fälle erfolgreich war (http://www.lac.qmul.ac.uk/our-legal-blog/items/football-supporters-recognising-the-dangers-of-facial-recognition-.html). Eine ganz schön dünne Faktenlage, um Menschen Straftaten zuzuordnen und diese beweisen zu wollen.
Zudem steht immer wieder auch der Vorwurf des sogenannten Racial Profiling im Raum. Da die eingesetzte Software immer noch von Menschenhand programmiert und entwickelt wird, spiegelt sich beim Einsatz dieser immer auch das Weltbild der jeweiligen Programmiererinnen und Programmierer wider. Waren Menschen mit rassistischem Weltbild am Werk, wird diese Software also automatisch ebenfalls rassistische Denkmuster reproduzieren (https://netzpolitik.org/2020/automatisierte-diskriminierung-twitter-prueft-rassismus-in-der-bildervorschau/).
Was die Fahndung mit Gesichtserkennungssoftware und Presse bedeutet, durften insbesondere die Menschen, die sich an den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017 beteiligten, erfahren. Doch auch nach dem letzten HSV-Spiel der Saison 2017/18, das den Abstieg besiegelte, fahndete die Hamburger Polizei bereits wochenlang mit Großaufnahmen in den Medien nach angeblichen „Gewalttätern“. Der Einsatz einer Gesichtserkennungssoftware bei der Fahndung nach Fußballfans scheint somit der nächste absehbare Schritt. Während kriminelle Steuerbetrüger in Hamburg vom Bürgermeister hofiert wurden, werden Fußballfans, die lediglich eine Fackel in der Hand gehabt haben sollen, wochenlang durch den Boulevard gezogen. Dass dabei nicht nur ein vollkommen falsches Bild der tatsächlichen „Straf“-Tat entsteht, sondern auch Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, Bekannte und Familien die Fußballfans als vermeintliche Kriminelle in der Zeitung sehen, wird dabei billigend in Kauf genommen.
Auch wenn die Hamburger Polizei angibt, die im Rahmen der G20-Proteste angelegte biometrische Datenbank gelöscht zu haben, steht die Technologie für diese Vorgehensweise weiterhin zur Verfügung (https://www.golem.de/news/gesichtserkennung-hamburger-polizei-loescht-gesichtsdatenbank-2005-148780.html). Unter diesen Umständen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch beim nächsten Stadtderby die Kurven mit Gesichtserkennungssoftware ausgewertet werden.
Im Zuge der Pandemie wurden schon nach der ersten Öffnung der Stadien starke Einschränkungen der Fanfreiheit umgesetzt. Tickets wurden personalisiert, um die Nachverfolgung von Corona-Infizierten zu erleichtern. Sicherlich sinnvoll, dennoch handelt es sich um eine Maßnahme, die, sobald die Pandemie eingedämmt ist, sofort beendet werden muss. Unsere Befürchtung ist allerdings, dass Ligen und Klubs in ganz Europa unter dem Vorwand von Pandemiemaßnahmen und Sicherheit weiter an Konzepten basteln, Fans auszuleuchten und sich an ihren Persönlichkeitsrechten zu bedienen. Das wollen wir verhindern.
Ein Verbot einer solchen biometrischen Massenüberwachung ist daher auch für uns als Fußballfans elementar. Es hilft aber auch allen anderen, die die Freiheit in öffentlichen Räumen und damit einen Eckpfeiler der Demokratie sichern möchten.
Die Kampagne #ReclaimYourFace hat deshalb eine große Petition in ganz Europa gestartet. Erreicht diese bis zum Stichtag im Jahr 2022 die Summe von einer Million Stimmen, muss sich die Europäische Kommission von Gesetzes wegen mit dem Thema befassen (https://reclaimyourface.eu/wp-content/uploads/2021/02/Supporting-and-partnering-with-the-Reclaim-Your-Face-campaign_v3.pdf). Das Ganze versackt also nicht in irgendwelchen Schubladen, sondern wird auf größtmöglicher Bühne politisch thematisiert.
Wir als Fanhilfe Nordtribüne unterstützen das Anliegen und fordern alle HSV-Fans und weitere Fußballfans in Deutschland auf, die Petition zu unterschreiben. Für die Garantie von Grundrechten, für den Freiraum Stadion, für den Erhalt der Fankultur!
Hier könnt ihr die Petition von #ReclaimYourFace unterzeichnen:
Reclaim Your Face
Fanhilfe Nordtribüne im August 2021